Stromausfall: Ist mein Unternehmen vorbereitet?

Für einen Stromausfall von wenigen Stunden sind viele Unternehmen vor­bereitet. Ein mehrtägiger Ausfall bei einem Blackout oder zyklische Abschaltungen bei einer Strommangellage stellen eine grössere Herausforderung dar, da nicht nur das Unternehmen selbst, sondern auch seine Partner, seine Kunden und kritische Infrastrukturen betroffen sind.

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Es ist eine Horrorvorstellung: Die Lichter gehen aus, die Bildschirme werden schwarz, Trams und Trolleybusse stehen still, Maschinen hören auf zu arbeiten, langsam springt die Notbeleuchtung an.

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) geht davon aus, dass eine Strommangellage – also eine Unterversorgung mit Strom während mehrerer Wochen – eine der grössten Gefahren für die Schweiz ist. In den Risikoanalysen des BABS ist die Häufigkeit einer Strommangellage mit «alle 30 bis 100 Jahre» ­ausgewiesen. Auch der Ausfall der Stromversorgung (Blackout) ist mit dieser Häufigkeit, jedoch mit einem tieferen monetarisierten Schaden, ausgewiesen.

Verschiedene Beispiele aus dem In- und Ausland zeigen, dass die Gefahr trotz der geschätzten Eintrittswahrscheinlichkeiten von «alle 30 bis 100 Jahre» real ist:

  1. In den Jahren 2017 und 2019 gab es in der Zürcher Innenstadt je einen Stromausfall, bei welchem es unter anderem am Hauptbahnhof dunkel war und Trams in der Stadt still­standen.
  2. Im Winter 2016/2017 waren viele AKWs in Frankreich nicht am Netz. Auf den trockenen Dezember folgte eine grosse Kältewelle im Januar. Dadurch leerten sich die Speicherseen sehr rasch und erreichten historische Füllstandtiefstwerte. Nur dank direkten Massnahmen konnte eine Strommangellage in der Schweiz abgewendet werden.
  3. Im Winter 2015/2016 konnte eine Strommangellage nur knapp abgewendet werden. Es standen die beiden Reaktoren des AKW Beznau still, die Produktion der Laufwasserkraftwerke war aufgrund des trockenen Sommers unterdurchschnittlich, die Stauseen hatten einen unterdurchschnittlichen Füllstand und der importierte Strom konnte nicht auf die richtige Ebene transformiert werden.
  4. Im Dezember 2015 kam es in der Ukraine zu einem mehrstündigen Blackout aufgrund einer Cyber­attacke.
  5. Im November 2006 gab es in Europa einen grösseren Stromausfall, da zwei Hochspannungsleitungen in Deutschland für die Ausfahrt eines Kreuzfahrtschiffs abgeschaltet wurden. In der Folge waren mehrere Millionen Haushalte bis zu 120 Minuten ohne Strom.

Relevante Szenarien

Unternehmen können drei verschiedene Szenarien (vgl. Abb. 1) unterscheiden, in welchen sie von einer Unterversorgung mit Strom betroffen wären:

  1. Erstens: Ein Stromausfall tritt aufgrund eins lokalen Ereignisses (z.B. wenn ein Bagger beim Umbau ein Kabel der Stromeinspeisung aufreisst) ein. Diese Stromausfälle sind regional beschränkt und können normalerweise vom lokalen Energieversorger in kurzer Zeit zumindest mit einem Provisorium gelöst werden.
  2. Zweitens: In einer Strommangellage kann über längere Zeit der Strom­bedarf nicht mit dem Stromangebot gedeckt werden. Je nach Schweregrad erlässt der Bund in einer Strommangellage Appelle zur Stromeinsparung, eine Kontingentierung oder zyklische Stromabschaltungen. Bei den zyklischen Stromabschaltungen sind von der Organisation für Stromversorgung in ausserordentlichen Lagen (Ostral) des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) zwei Stufen vorbereitet. In der Stufe 1 ist ein Zyklus von vier Stunden Unterbruch und acht Stunden Versorgung vorgesehen. In der Stufe 2 ist nach den vier Stunden Unterbruch nur vier Stunden Versorgung für jedes der Teilgebiete geplant.
  3. Drittens: Bricht die Stromversorgung in einem Netz komplett zusammen, spricht man von einem Blackout. In einem solchen Szenario muss nicht nur ein unmittelbarer Stromausfall, sondern auch ein Ausfall von kritischer Infrastruktur und eine längere Phase der Wiederherstellung des Normal­zustands angenommen werden.

 

Vorsorge bestimmen

Mit einem systematischen Vorgehen (vgl. Abb. 2) können sich Unternehmen effektiv und effizient auf die drei Szenarien Stromausfall, Strommangellage und Blackout vorbereiten und sich mit den Partnern und Behörden abstimmen, um im Ereignisfall einen existenzbedrohenden Schaden abzuwenden. Jedes Unternehmen muss ­dabei die Relevanz der Vorsorge für die drei Szenarien bestimmen. Die Relevanz kann sich auch nach Geschäftsbereich oder Standort unterscheiden.

Abhängigkeiten vom Strom

Strom ist in den meisten Unternehmen schon lang essenziell. Die Bedeutung von Strom hat in den letzten Jahren durch die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung, aber auch durch die Förderung der Elektromobilität noch viel stärker zugenommen.

Die konkrete Abhängigkeit vom Strom ist branchen- und unternehmensspezifisch. Im Rahmen der Business-Impact-Analyse muss deshalb identifiziert werden:

  1. Welche Geschäftsprozesse müssen zwingend weitergeführt werden, damit keine grossen Schäden entstehen?
  2. Welche der in den Geschäftsprozessen eingesetzten Ressourcen (z.B. Gebäude, Maschinen, IT-Systeme) sind zwingend auf Strom angewiesen?
  3. Was wären die Auswirkungen auf diese Ressourcen und die Geschäftsprozesse bei zyklischen Stromabschaltungen oder bei Stromausfällen unterschiedlicher Länge (z.B. eine Stunde, einen Tag, zwei Tage)? Gibt es kurzfristig alternative Lösungen, um die Prozesse weiterzuführen?
  4. Wie lange dürfen die Geschäfts­prozesse und die dafür eingesetzten Ressourcen ausfallen?
  5. Gibt es Prozesse, die nur in bestimmten Tages- oder Jahreszeiten auf Strom angewiesen sind (z.B. Heizung im Winter, Kühlung im Sommer)?

Die folgenden Beispiele typischer Ressourcen in einem Unternehmen zeigen, wie tiefgreifend die Abhängigkeit von Strom innerhalb eines Unternehmens ist:

  1. Web-Portale und Onlineshops
  2. IT-Systeme
  3. Telefone, Drucker und Faxgeräte
  4. Kassensysteme und Tresore
  5. Beleuchtung, Lüftung und Gebäudesteuerung
  6. Überwachungs- und Zutrittsschutzsysteme
  7. Lagerbewirtschaftung (z.B. Hoch­regallager, Elektrostapler, Verteil­anlangen)
  8. Kühllager und -schränke
  9. Anlagen- und Produktionssteuerung
  10. Maschinen mit Elektroantrieb
  11. Labor- und Analysegeräte
  12. Tankstellen auf dem Firmengelände

Bei einem längerdauernden Blackout müssen die Unternehmen zudem mit Kettenreaktionen rechnen, welche sie vor weitere Herausforderungen stellen. Dies können zum Beispiel sein:

  1. Ausfall Festnetz und Mobiltelefonie
  2. Ausfall Radio und Fernseher
  3. Ausfall Treibstoffversorgung
  4. Ausfall öffentlicher Verkehr, Stras­senverkehr, Luftverkehr
  5. Ausfall Wasserversorgung und Abwasserentsorgung
  6. Stark eingeschränkte medizinische Versorgung
  7. Ausfall von Mitarbeitern (keine Anreisemöglichkeit, Familie)

Vorsorgestrategien

Für die Bewältigung der drei Szenarien Stromausfall, Strommangellage oder Blackout können Unternehmen verschiedene Strategien festlegen. Die Wahl der Strategie wird unter anderem dadurch beeinflusst, wie zeitkritisch die Geschäftsprozesse sind und über wie viele Standorte das Unternehmen verfügt.

Als generelle Strategien für einen Stromausfall stehen folgende Optionen zur Verfügung:

  1. Weiterführung der kritischen Geschäftsprozesse mit unterbrechungsfreier Stromversorgung (USV), Notstromaggregaten, batteriebetriebenen oder alternativen Systemen.
  2. Verlagerung der Geschäftstätigkeit auf diejenigen Standorte, welche noch mit Strom versorgt sind.
  3. Temporäre Einstellung des Betriebs.

Als Vorbereitung auf eine Kontingentierung des Stroms im Szenario Strommangellage sieht die Ostral vor, dass sich Grossverbraucher (Jahresverbrauch >100 MWh), welche an mehreren Standorten tätig sind, als Multisite-Verbraucher anmelden können. Bei einer Kontingentierung des Stroms wird so der Gesamtverbrauch des Unternehmens kontingentiert und nicht der einzelne Standort. Dies ermöglicht eine Strategie, in welcher einige Standorte normal betrieben und andere geschlossen werden.

Bei der Wahl der Strategie für zyklische Stromabschaltungen muss darauf geachtet werden, dass IT-Systeme und Produktionsanlagen eine gewisse Dauer für den Wiederanlauf, die Rüstzeit und die Reinigung in Anspruch nehmen und auch die Zulieferer nicht im gewohnten Rahmen lieferfähig sind. Bei zyklischen Stromabschaltungen muss deshalb genau geprüft werden, wie während den angekündigten Netzabschaltungen eine priorisierte und reduzierte Produktion mit einer Notstromversorgung oder ange-passten Personaleinsätzen und Lager­beständen aufrechterhalten werden kann.

Im Blackout-Szenario müssen neben dem unmittelbaren Stromausfall (Phase 1) auch Strategien für die Phase 2 (Ausfall von kritischen Infrastrukturen, Personal und wichtigen Zulieferern) und die Phase 3 (Wiederherstellung des Normalzustands mit beschränkter Versorgung) vorbereitet werden. Diese Strategien sind unternehmensspezifisch und können zum Beispiel die Themen Kommunika­tion, Versorgung mit Betriebsstoffvorräten, Transport von Waren und Personen, Wasserversorgung, Abwasserentsorgung beinhalten.

Umsetzung

Im Rahmen einer Gap-Analyse sollte das Unternehmen ermitteln, welche der Strategien sich mit den bereits implementierten Massnahmen umsetzen lassen und wo noch Lücken bestehen. Aus den Lücken müssen konkrete Massnahmen abgeleitet werden, welche nach Aspekten der Wirtschaftlichkeit bewertet werden. Für die gewählten Massnahmen wird eine Umsetzungsplanung erstellt.

Bei der Umsetzung werden insbesondere folgende Massnahmen benötigt:

  1. Umsetzung von technischen Massnahmen, welche die Notstromversorgung oder einen Betrieb mit reduziertem Strombedarf ermöglichen.
  2. Erarbeitung von Business-Continuity- bzw. Notfallplänen, welche den Notbetrieb für die kritischen Prozesse des Unternehmens während einer Strommangellage und eines Blackouts gemäss der gewählten Strategie beschreiben.
  3. Etablierung eines Krisen- bzw. Notfallmanagementteams, welches die Bewältigung der Strommangellage oder des Blackouts führt.
  4. Erarbeitung von Checklisten und Hilfsmitteln für Mitarbeiter, damit sie bei einem Stromausfall die notwendigen Sofortmassnahmen einleiten können.
  5. Schulung der Organisation für die relevanten Szenarien.

 

Diese Massnahmen sollen möglichst in die bestehenden Strukturen des Business Continuity Managements und des Krisen- und Notfallmanagements integriert werden.

Testen und üben

Nach dem Motto «Nur was getestet ist, funktioniert» muss auch die Vorsorge für Stromausfall, Strommangellage und Blackout getestet und geübt werden. Mit einem aufbauenden Programm aus diskussionsbasierten Überprüfungen (Walkthroughs, Table-Top-Übungen), technischen Tests und Simulationen kann das Unternehmen rasch Sicherheit gewinnen, dass die gewählten Strategien und die umgesetzten Massnahmen wirksam sind.

Fazit

Die Versorgung mit Strom ist überlebenswichtig für die Unternehmen. Stromausfall, Strommangellage und Blackouts können diese in ihrer Existenz bedrohen. Deshalb ist es von fundamentaler Wichtigkeit, sich frühzeitig Gedanken zu möglichen Ausnahmeszenarien zu machen, konkrete Strategien und Massnahmen zu erarbeiten und diese ausführlich und strukturiert zu testen. Mit einer guten Vorsorge können sich die Unternehmen gegenüber ihren Mitbewerbern einen strategischen Wiederherstellungsvorteil sichern.

Autor

Dr. Simon Erb, Partner des Beratungsunternehmens aucoma ag, Stans

 

 

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