Neue Anforderungen an den Sicherheitsdienstleister

Trotz der Coronapandemie hat die Sicherheitsbranche diese Phase insgesamt gut überstanden, auch dank der Übernahme neuer Sicherheitsaufgaben im Gesundheitswesen oder bei coronabedingten Einlasskontrollen im Detailhandel.

Sicherheitsdienstleister
Bild: Securitas AG

Das Sicherheitsgewerbe ist in den vergangenen Jahrzehnten in den meisten westeuropäischen Ländern kräftig gewachsen. Haupttreiber dafür waren Veränderungen in der Bedrohungslage, eine zunehmende Nachfrage der wachsenden Wirtschaft, das zunehmende Outsourcing von Sicherheitsfunktionen im Unternehmen und fehlende Personalressourcen bei der Polizei und kommunalen Ordnungsbehörden.

So stieg die Zahl der im Verband Schweizerischer Sicherheitsdienstleistungs-Unternehmer (VSSU) organisierten Sicherheitsdienstleister (SDL) bis 2019 auf 900 mit einer Gesamtzahl an Sicherheitsmitarbeitern (SMA) von 21 000 (im Vergleich zu 19’000 Polizeikräften).

In Deutschland hat sich der Gesamtumsatz des Sicherheitsgewerbes von 2009 bis 2020 auf 9,21 Milliarden Franken mehr als verdoppelt. Die ca. 1000 Mitglieder des Bundesverbandes der Sicherheitswirtschaft (BDSW) beschäftigen 262’000 SMA (gegenüber 337 000 Polizeikräften). Die Branche steht aber in der Schweiz wie in Deutschland vor grossen Herausforderungen: Die Bedrohungslage, ein gewichtiger Einflussfaktor auf den Sicherheitsmarkt, verändert sich tendenziell. Viele Segmente physischer Kriminalität sind rückläufig, während Cybercrime dramatisch zunimmt. Der Arbeitsmarkt für SMA ist leergefegt.

In Deutschland sind derzeit ca. 12’000 Stellen im Sicherheitsgewerbe unbesetzt. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Die Polizei ist durch vielfältige neue Aufgaben – insbesondere die Terrorismusprävention und die Ermittlung von Cyberdelikten – überlastet, sodass immer wieder darüber diskutiert wird, ob das Sicherheitsgewerbe sie entlasten könnte, etwa bei der Sicherung von Veranstaltungen, beim Schutz öffentlicher Gebäude oder in der Bestreifung von unübersichtlichen Parkanlagen. Kritische Infrastrukturen rücken immer mehr in den Fokus der Sicherheitsbehörden und bedürfen eines erhöhten physischen Schutzes. Und immer wieder berichten Medien über vereinzelte, aber aufsehenerregende Skandale, die von einzelnen Sicherheitsunternehmen verursacht wurden.

Sowohl in der Schweiz wie auch in Deutschland sind die rechtlichen Rahmenbedingungen unzureichend, um einzelne schwarze Schafe unter den SDL auszuschliessen und hohe Qualitäts- und Zuverlässigkeitsstandards vorzuschreiben. Die grösste Herausforderung bildet aber die immer intelligenter werdende Sicherheitstechnik, die den SDL nicht ersetzt, mit der er aber umgehen muss. Wie also wird der SDL der Zukunft aufgestellt sein müssen, um alle diese Herausforderungen zu meistern?

Das erforderliche Change Management für den SDL der Zukunft lässt sich in neun Themenfeldern beschreiben:

Flexibilität und Agilität

Die Welt verändert sich immer schneller und damit auch Bedrohungslagen und ­Sicherheitsanforderungen. Der SDL der Zukunft muss dies in seiner Geschäftsstrategie berücksichtigen. Er muss den Sicherheitsmarkt ständig beobachten und analysieren, sein Management auf Flexibilität einstellen, sich in der Qualifikation von SMA und im Leistungsspek­trum auf neue Aufgaben vorbereiten und neue Geschäftsmodelle entwickeln. Ein solches neues Geschäftsmodell ist zum Beispiel die Betreuung von Einzelhandelsgeschäften in der City durch mobile Streifen ohne Funktion im öffentlichen Raum, die bei Alarmierung schnellstmöglich vor Ort sind, um das um Hilfe rufende Personal zu unterstützen, etwa bei einem Raubüberfall, einer Bedrohung, bei der dringenden Klärung von Verdachtsmomenten oder bei der Einlasskontrolle aufgrund der Pandemievorschriften.

Branchensegmentierung

Die immer differenzierter werdenden Sicherheitsanforderungen in einzelnen Branchen, sei es in der Industrie, im Gesundheitswesen, in Flughäfen, bei sonstigen kritischen Infrastrukturen, im Hotelgewerbe oder im öffentlichen Raum, lassen sich durch eine Branchensegmentierung in der Organisation neben der regionalen Organisationsstruktur bei grös­seren SDL leichter bewältigen. Die notwendigen Fachkenntnisse und Erfahrungen als Basis für die Kundenberatung ebenso wie die Zusammenführung entsprechender qualifizierter Mitarbeiter und die Beschaffung der notwendigen Sicherheitstechnik können so besser gebündelt werden.

Sicherheitsberatung

Der SDL der Zukunft muss in der Lage sein, (potenzielle) Kunden umfassend zu beraten. Dazu gehört die Risiko- und Schwachstellenanalyse ebenso wie die Sicherheitskonzeption. Vor allem für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die über keine Sicherheitsexperten verfügen, ist die Sicherheitsberatung durch den SDL unerlässlich. Diese Beratung wird komplexer werden, je mehr Sicherheitsanforderungen normativ vorgeschrieben werden. Und sie muss auch solche sicherheitstechnischen Lösungen einbeziehen, die der SDL nicht selbst erbringen kann. Das gilt insbesondere für die IT-Sicherheit, die mit der veränderten Bedrohungslage und der fortschreitenden Digitalisierung immer wichtiger wird. Soweit der SDL nicht selbst über IT-Experten für eine detaillierte Sicherheitskonzeption und deren Umsetzung im IT-Bereich verfügt, sollte er eine strategische Partnerschaft mit einem auf IT-Sicherheit spezialisierten Unternehmen eingehen.

Sicherheitspersonal könnte vermehrt auch an wichtigen Knotenpunkten wie Parkhäusern eingesetzt werden. Bild: depositphotos

Entlastung von Polizei und kommunalen Sicherheitsbehörden

Der SDL der Zukunft wird öfter als bisher im öffentlichen Raum tätig werden. Die Überlastung der Polizei wird die Frage der Entlastung durch SDL lauter werden lassen. Dasselbe gilt für die kommunalen Ordnungsämter, deren Aufgabe es ist, unübersichtliche, von Störern frequentierte «Angsträume» zu kontrollieren, und deren personelle Ressourcen dazu oft nicht ausreichen, insbesondere zu «dienstungünstigen» Zeiten des Abends, in der Nacht oder an Wochenenden. Sowohl in der Schweiz wie auch in Deutschland fehlt es dazu den SDL an «niedrigschwelligen» Eingriffsbefugnissen der Personenanhaltung, der Ausweiskontrolle und des Platzverweises. Hier ist die Politik gefordert, denn mit den «Jedermannrechten» des Bürgerlichen Rechts kann eine wirksame Bestreifung nicht erfolgen. Dass dabei das staatliche Gewaltmonopol nicht verletzt werden darf, ist selbstverständlich. Die «niedrigschwelligen» Befugnisse verletzen das Monopol nicht.

Ganzheitliche Sicherheitslösungen

In der Vergangenheit legte oft der Auftraggeber Art und Umfang der erwünschten Sicherheitsleistung fest und schrieb eine darauf errechnete Zahl von «Mannstunden» aus, wobei zumeist der billigste Anbieter, der in der Regel nicht der zuverlässigste und leistungsstärkste war, den Zuschlag erhielt. Hier vollzieht sich ein Paradigmenwechsel. Künftig werden immer mehr Sicherheitsnachfrager eine ganzheitliche Sicherheitslösung aus einer Hand verlangen. Dem muss der SDL der Zukunft mit einem Angebot einer kundenspezifischen Risikoanalyse und Sicherheitskonzeption mit integrierter Sicherheitstechnik entsprechen.

Dabei wird erwartet, dass er die notwendige mechanische und elektronische Sicherheitstechnik nicht nur plant, sondern auch selbst in sicherheitstechnische Anlagen investiert, sie betreibt, wartet und instand hält. Die Sicherheitstechnik ist in den letzten Jahrzehnten immer intelligenter und wirksamer geworden. Die Innovationszyklen werden immer kürzer. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Der SDL der Zukunft muss die gesamte für seinen bestehenden und zu erweiternden Kundenkreis erforderliche Sicherheitstechnik in sein Leistungsangebot integrieren, sich mit ihr vertraut machen und die entsprechenden Beschaffungsmöglichkeiten sicherstellen.

Digitalisierung

Die Sicherheitstechnik wird immer digitaler. Digitale Technologie ist in allen elek­tronischen Sicherheitsanwendungen, zum Beispiel der Videoüberwachung und Bildanalyse, der Zutritts- und Zufahrtskon­trolle, der Branddetektion wie der Brandbekämpfung, nicht mehr wegzudenken. Der SDL der Zukunft muss diese Digitalisierung in seinem Leistungsangebot, in der Ausrüstung seiner SMA mit entsprechenden Kommunikationsmitteln, Mess- und Ortungsinstrumenten, aber auch in der Infrastruktur seines Unternehmens, in vollem Umfang verwirklichen. Das ist wohl der schwierigste und vielleicht auch aufwendigste Schritt im Change Management. Aber er lohnt sich. Digitalisierung beschleunigt und entbürokratisiert die innerbetriebliche Organisation, die Personalplanung, die Einsatzvorbereitung und die Dokumentation. Digitalisierte Kalkulationsprogramme erleichtern die Ausarbeitung von Angeboten im Vergabeverfahren. Kundenverträge werden in digitaler Form verwaltet. Der Aufbau einer Datenbank konzentriert das Fachwissen des Unternehmens, Best-Practice-Referenzen und die Übersicht über die Qualifikation und Mobilität von SMA.

Predictive Services

Die Polizei hat mit Predictive Policing begonnen. Sie ist zum Beispiel in der Lage, aufgrund der Verarbeitung aller für den Wohnungseinbruch relevanten Daten in einem bestimmten Bezirk die Wahrscheinlichkeit der Begehung solcher Einbrüche in bestimmten Strassenzügen, zu bestimmten Tages-, Wochen- oder Jahreszeiten, mithilfe intelligenter Algorithmen zu berechnen und danach ihre präventive Streifentätigkeit auszurichten. Eine solche intelligente Verarbeitung von Big Data wird auch der SDL der Zukunft betreiben. Das gilt nicht nur für Predictive Guarding in bestimmten Wohn­gebieten, sondern für das Predictive Con­trolling im ÖPNV, wo sich aus ermittelten Kennzahlen Muster ablesen lassen, die zeigen, zu welchen Zeiten und auf welchen Strecken die meisten Passagiere ohne gültigen Fahrausweis unterwegs sind, und für die Predictive Maintenance: Für eine vom SDL betriebene sicherheitstechnische Anlage werten Algorithmen sämtliche Design-, Betriebs- und Prozessdaten im Lebenszyklus der Maschine laufend aus und berechnen automatisch den zur Vermeidung von Betriebs- und Kostenaspekten den optimalen Zeitpunkt der Wartung.

Neue Anforderungen an den Sicherheitsdienstleister
Videobasierte Brandfrüherkennung. Bild: Robert Bosch GmbH

Personalentwicklung

Der SDL der Zukunft muss zwei Probleme bewältigen: den Personalmangel und die notwendige Veränderung in der Qualifikation der Mitarbeiter, um neuen Aufgaben, insbesondere im sicherheitstechnischen Bereich, gerecht zu werden. Den Personalmangel kann er nicht allein durch geschickte zielgruppenorientierte Werbung erreichen. Er muss seine Attraktivität als Arbeitgeber deutlich erhöhen: durch faire, nicht am Mindestlohn orientierte Entlohnung und die Interessen der SMA berücksichtigende Arbeitszeitgestaltung und durch ein Personalentwicklungsprogramm, das dem Mitarbeiter Perspektiven eröffnet, an der ständig fortentwickelten Weiterbildung in der unternehmenseigenen Akademie teilzunehmen, auf einen für ihn besonders interessanten anderen Arbeitsplatz zu wechseln oder auch – je nach Aus- und Weiterbildung, Leistungsfähigkeit und Engagement – in das mittlere Management aufzusteigen. Die Personalentwicklung muss die Qualifizierung für den Umgang mit moderner, anspruchsvoller Sicherheitstechnik und die Anwerbung entsprechend qualifizierter Mitarbeiter einschliessen.

Compliance

Schon immer wurde die Tätigkeit der SDL in Teilen der Öffentlichkeit und vor allem in den Medien kritisch verfolgt. Vorwürfe von Rechtsverletzungen haben der Reputation des Sicherheitsgewerbes geschadet. Die zu erwartende Ausweitung des Tätigkeitsbereichs und die zunehmende Regulierungsdichte wird die kritische Haltung verstärken und den SDL der Zukunft veranlassen, auf die Einhaltung aller relevanten Vorschriften durch striktes Compliance Management grössten Wert zu legen. Dazu gehört auch ein Whistleblowing-System, in dem der Whistleblower keine Sanktionen und Nachteile befürchten muss.

Dieser Fachartikel erschien in der gedruckten Ausgabe SicherheitsForum 2-2021.

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